Das Generationshaus – Elevator Impressionen

Das Generationshaus - Elevator Impressionen

Von der Fiction in die Realität

Was haben ein Telefonat, zwei Jahre, zwölf Etagen, viele Fahrstuhlbegegnungen, meine Freundin Marie und Co-Living gemeinsam? Meine (noch fiktive) Geschichte dazu.

Zurück in die Zukunft

Heute ist der erste warme Tag, es riecht schon nach Sommer. Deswegen habe ich mich zum Laufen entschlossen. Lange her, dass ich diesen Weg gegangen bin. Wahrscheinlich wäre es auch nie wieder passiert, wenn Marie mich letzte Woche nicht angerufen hätte. Und ehrlich gesagt, fällt es mir auch immer noch schwer.

Aber Marie hat mich neugierig gemacht „Ich muss dir was zeigen, dein Baby lebt!“.

So bin ich jetzt unterwegs, mit vielen Erinnerungen und ein wenig Vorahnung im Kopf. „Mittwoch, neun Uhr vorm Haupteingang, sei pünktlich. Ich hol dich ab.“ Klare Ansagen von Marie – wie immer.

Gleich bin ich da, kann das Gebäude schon sehen. Es sieht von weitem noch fast so aus wie vor 2 Jahren. Eine Veränderung erkenne ich jetzt doch. Der Name über dem Eingang ist neu, naja fast neu. Interessant – jetzt steht ein Y am Anfang. „YOURS“.

 

Lobby

Marie. Sie strahlt. „Ich war mir nicht sicher, ob du wirklich kommst.“
Ich war mir auch nicht sicher gewesen, aber das sage ich ihr nicht. Ich freue mich einfach, sie wiederzusehen. „Bist du bereit für 3 Stunden Elevator Impressionen?“ fragt Marie.

Ich bin und habe eine Frage. „Wieso YOURS“? „Die Antwort kannst du dir am Ende selbst geben. Hoffe ich!“ sagt Marie. „Los komm, sonst verpasst du den Anfang“ und schon schiebt sie mich durch die Tür in die Lobby. Meine alte Lobby.

Welch es Gewusel. Leben gehört in die Lobby. Aber jetzt ist es anders als früher, das spüre ich sofort. Kein Kommen und Gehen, ein anderer Rhythmus.

Auf der linken Seite erstreckt sich ein neugestalteter großer Bereich.

Der ehemalige Personaltrakt wirkt durch die breiten Glasfronten heller und freundlicher als zuvor. Neue Freiflächen mit vielen Pflanzen und bunte Farben an den Wänden. Und jede Menge Kinder.

Ein Kindergarten!? Marie spürt meinen fragenden Blick. „Später“.

Auf unserem Weg zu den Fahrstühlen folgt uns ein großer Teil der Kids. Wir fahren wir in die 1. Etage. Neugierig werde ich gemustert, dann geht die Tür schon auf.

Come Together

Unsere 1. Konferenzebene… ist verschwunden. Man kann die alte Struktur der Räume noch ahnen, allerdings ist jetzt alles offener gestaltet. Im wahrsten Sinn des Wortes – ich sehe kaum Türen. Dafür schaue ich auf Gruppen mit auffällig vielen älteren Menschen, welche jetzt die Kinder begrüßen. Hinter uns kommt der Rest aus dem Kindergarten noch dazu, auch einige Millennials folgen. Alles wirkt irgendwie routiniert auf mich, wie ein gewohnter Ablauf.

„Komm. Ich hol dich mal ab, was die letzten 2 Jahre passiert ist.“ Marie zeigt auf eine Sitzecke an der Fensterseite. Wir setzen uns und schauen auf das muntere Treiben.

Und sie erzählt. Von der Bitternis und Hoffnungslosigkeit der ersten Monate, als das Haus geschlossen werden musste (daran konnte ich mich noch zu gut erinnern).

Aber auch von wachsender Bereitschaft, das vorhandene neue Konzept ernsthafter als zuvor zu prüfen. Von endlosen Runden und Ringen um Kompromisse der Eigentümer mit den Behörden und Banken für ein Umnutzungskonzept des Hotels, für ein Perspektivkonzept. Letztlich die Zustimmung vor einem Jahr. Natürlich mit Auflagen, aber machbar. So begann der Umbau vom Hotel zum Generationshaus.

Weitere viele Gespräche, wieder mit Behörden, alten und neuen Stakeholdern, potentiellen Partnern. Aber es war nicht allein die Herausforderung der Umgestaltung des Hauses. Teil des Konzeptes war vornherein auch die Einbeziehung der umliegenden Nachbarschaft.
„Auch das haben wir gemeinsam geschafft und zum Jahresbeginn gingen die Türen wieder auf“. Marie holt Luft und ich habe tausend Fragen.

Aber Marie steht schon wieder. „Wenn du es noch aushältst, lass uns weiterfahren. Vieles erklärt sich beim Sehen – und einen Großteil wirst du selbst schon ahnen“.

Ich bin einverstanden, will eines aber doch wissen. „Warum sollte ich pünktlich 9 Uhr hier sein?“ frage ich. „Immer wochentags zwischen 9-11 Uhr treffen sich die Kids aus dem Kindergarten mit Senioren und Studenten zum „Generations Talk & Play“ hier auf unserer Come-Together-Area. „Und wo die alle herkommen – das zeige ich dir jetzt“. Marie steht in der offenen Fahrstuhltür.

Silver Societies

„Auf den nächsten 2 Etagen befinden sich unsere Seniorenwohnungen“ sagt Marie und drückt auf die Drei.
Sekunden später sind wir schon da.

Auf den ersten Blick sind keine großen Veränderungen zu erkennen. Erst später sehe ich, dass auf der rechten Flurseite weniger Zimmertüren sind. „Wir haben teilweise die Zimmer miteinander verbunden, um den Bedürfnissen der Bewohner gerecht zu werden.
Unser großer Vorteil war die teilweise schon vorhandene Infrastruktur für Barrierefreiheit, was die bautechnischen Arbeiten erleichterte“ – ihr kurzer Kommentar dazu.

Am Ende des Ganges steht eine Tür offen. „Wir haben auf beiden Etagen kleine Treffpunkte für einen kurzen Plausch oder Austausch integriert. Magst du mal schauen?“

Eine Gruppe von 6-7 Personen in den 60-ern sitzen an Laptops und diskutieren angeregt.

Wir wollen nicht stören und gehen zurück zum Aufzug.

Ich muss dabei an den Spruch zu den Silver Societies denken. „Wir werden älter, aber nicht altmodisch.“

Co & Co

Wir halten in der 6. Etage. „Hier bin ich Zuhause“. Ich spüre die Zufriedenheit in Maries Worten. „Wie meinst du das genau?“ frage ich sie. „Naja, ich wohne und arbeite hier.“

Während wir den Gang langgehen, lerne ich neue Seiten meiner Freundin kennen.

„Als wir das Projekt damals starteten, hab ich den Lead für die Ansiedlungskonzeption übernommen. Du kennst mich ja, Business Development war schon immer mein Ding. Spaces für Coworking und Co-Living zu integrieren, waren elementare Bestandteile des Konzeptes. Und bei Co-Living bin ich sozusagen dann am Ende hängengeblieben. Ich schimpf mich jetzt „Head of …“ und damit ich alles im Blick behalte, wohne ich auch gleich hier. Praktisch, oder?“

Sie lacht und zeigt den Flur runter. „Co-Living auf 2 Etagen – 5 & 6. Die Zimmer haben wir zu verschieden großen Wohneinheiten umgebaut. Auch hier kam uns die vorhandene Infrastruktur zugute und dadurch ging auch recht zügig. Gemischtes Mietklientel und bis jetzt sind alle vom Anfang auch noch dabei.“

„Wir müssen weiter, sonst kann ich dir nicht alles zeigen. Nächster Halt Co-Working“ sagt sie und verschwindet im Fahrstuhl. Wie früher, alles durchgeplant, denke ich und folge ihr.

Auf der Fahrt in die 9. Etage erfahre ich mehr zur Coworking-Konzeption. Wieder auf zwei Ebenen, ist es inhaltlich allerdings geteilt.

Klassisches Modell auf 8. Ebene und ein spezielles Angebot auf der Ebene, wo wir jetzt ankommen.

„Co Fashion Tech Hub. Kreative Arbeitsplätze für den Entwurf und Gestaltung von nachhaltiger Mode. Kleine Kollektionen, Hightech Hardware auf Mietbasis, alle Materialen für den Kreislauf konzipiert. Gelebte Circular Economy“ schwärmt Marie.

Obwohl die ca. 10-15 verschiedenen Arbeitsplätze besetzt sind, hört man fast nichts.
„Das waren die Auflagen, um solch ein Lab hier aufbauen zu können. Aber wir wollten es unbedingt hier ermöglichen, so etwas Innovatives gehört in das Hauskonzept. Und mit zusätzlicher Unterstützung durch Fördermaßnahmen der Stadt ist es dem Gründerteam und uns gelungen.“ Wieder schwingt Stolz in ihrer Stimme.

Marie will mit mir jetzt nach ganz oben, in die 12. Etage. Eine besondere Überraschung für mich – hat sie versprochen. Die anderen Ebenen kommen auf dem Rückweg dran.

Den Sternen nah

Wirklich zum Luftholen komme ich nicht. Zum Verarbeiten aller bisherigen Eindrücke erst recht nicht. Das leise Summen der aufgehenden Tür holt mich aus meinen Gedanken zurück.

Wir treten in eine großräumige Ebene hinaus und mir verschlägt es fast die Sprache. „Ihr habt doch nicht wirklich hier ein…“ Marie spricht den Satz weiter „Planetarium eingerichtet?“ 

„Haben wir. Aber die Idee war nicht von uns“ und schaut mich dabei an.

„Allein hätten wir es nicht umsetzen können, weder finanziell noch technisch. Das Generationshaus-Konzept hat sich hier bewährt.“

„Wir haben Forschungsmitteln der Uni und Fördergelder für die schulvorbereitenden Ausbildung der Kinder erhalten und die Sternwarte selbst hat uns bei der Ausrüstung unterstützt.“

Marie geht an die hintere Fensterfront und winkt mir zu. „Ich möchte dir noch ein weiteres Stück Zukunft zeigen“ und deutet auf die Gebäude hinter dem Hotel. Von hier oben erkenne ich das Gebäude des Finanzamtes und die Werkhallen der ehemaligen Maschinenfabrik.

„Ich sagte dir vorhin, dass wir im Umnutzungskonzept auch die umliegende Nachbarschaft mit einbeziehen wollten. Den Anfang davon siehst du hier.“ Und sie erzählt vom Auszug der Finanzbehörde und dem beschlossenen Umbau des Gebäudes zum „Public Campus“ mit neu gestalteten Offices für Unternehmen und dem Aufbau eines „All Generations Innovation Hub“ im Lead der Technischen Hochschule.

„Auch die alten Werkhallen werden mit in das Konzept aufgenommen. Hier sind wir noch im Planungsstatus, aber die Struktur steht schon. Stichwort Urban Manufacturing.“ Sie blickt kurz hoch, schaut auf ihre Uhr und erschrickt. „Gleich 12 Uhr, wo ist die Zeit bloß hin. Ich muss leider jetzt in einen Call, den ich nicht schieben kann. Investorenrunde.“ Sie klingt traurig. „Hey, kein Problem. Ich glaube, mehr Informationen und Eindrücke hätte ich heute wohl auch nicht geschafft“ helfe ich ihr aus der Situation.

Auf der Fahrt nach unten schaue ich mir die Bezeichnungen der noch nicht gesehenen Ebenen an. Culture Area, Art & Creative Area, Fitness & Sports… Es gäbe noch einiges zum Anschauen.

Marie ist still und mustert mich. „Wie geht es dir? Wie fühlt es sich an, dein Konzept bei Wachsen zu sehen?“ fragt sie schließlich leise. Ich kann ihr nicht gleich antworten, Ich verarbeite immer noch und frage mich, ob ich vor 2 Jahren zu früh aufgegeben habe. „Es fühlt sich richtig an, Marie. Richtig, weil es Hoffnung schafft – für Viele.“

„Kommt wieder, nicht nur zum Schauen.“ Ihre Worte beim Verabschieden in der Lobby. Dann flüstert sie mir noch etwas zu und verschwindet wieder im Aufzug. Ich komme nicht dazu, mich zu bedanken.
Die Sonne blendet mich, als ich wieder auf der Straße bin. Langsam gehe ich nach Hause und mir fallen ihre letzten geflüsterten Worte wieder ein.

„Zukunft wird im Heute gemacht.“ Mein Leitmotiv aus fast vergessenen Tagen.
(04.Mai 2022)

Das Generationshaus – Elevator Impressionen

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