Die Ebenen der Modularität

Modularität und Möbel
Gefühlt gehört beides schon immer zusammen.
Bislang bezog sich das meistens auf den Herstellungsprozess. Aus vielen Teilen entstehen langlebige, für die Unternehmen erfolgreiche und von den Kunden:innen geschätzte Produkte.
Aber ist das wirklich so?
Modularität kann viel mehr – in all diesen Punkten.
Eine Betrachtung zu den verschiedenen Ebenen der Modularität.
Ein kurzer Exkurs zur Definition und Benutzung.
„Modularität (auch Baustein- oder Baukastenprinzip) ist die Aufteilung eines Ganzen in Teile, die als Module, Komponenten, Bauelemente, Baugruppen oder Bausteine bezeichnet werden. Bei geeigneter Form und Funktion können sie zusammengefügt werden oder über entsprechende Schnittstellen interagieren.“ So lautet der Wikipedia-Eintrag.
Ein Bezug auf Möbel findet sich bei Wortbedeutung.info für eine Bedeutung des Wortes: „Ein praktisches Beispiel für die Anwendung dieser Art der Modularität liefern Regalhersteller.“ Interessant ist die Aussage zur Häufigkeit der Benutzung des Wortes: „Das Wort kommt in den letzten Jahren selten in deutschsprachigen Texten vor.“
Dies wird sich in den nächsten Jahren für die Möbelbranche aus mindestens diesen drei Gründen ändern – fehlende Rohstoffe und Ressourcen, innovative Geschäftsmodelle im Wettbewerbsumfeld und neue Zielkunden bzw. Kundenbedarfe.
Ressourcen
Wie eingangs beschrieben, bezieht sich die Modularität gegenwärtig vorrangig auf die Phase der Möbelfertigung. Die modulare Bauweise ist größtenteils auf den Zusammenbau beschränkt und nicht für Refurbishment und Re-Manufacturing ausgelegt.
Ein Ergebnis daraus ist der aktuell sehr geringe Effekt für Mehrfachnutzung der Bauteile bzw. Wiederverwertung der einsetzten Ressourcen.
Aus einer Untersuchung der Möbelinitiative weitergeben.org geht hervor, dass auch mit aus diesem Grund in Deutschland jährlich ca. 100 Millionen Altmöbel vernichtet werden.

Bild: weitergeben.org
Die Möbelbranche in Deutschland ist strukturell immer noch auf lineare Geschäftsmodelle ausgelegt. Durch einen veränderten Modularitätsansatz wird zukünftig hier ein Wandel erfolgen – müssen. Modularität als durchgängiges Element für den gesamten Lebenszyklus eines Möbelproduktes bereits beim Design zu fixieren, ist eine notwendige Voraussetzung der Circular Economy.
Der Druck zur Veränderung kommt aus der Politik.
Im Circular Economy Action Plan der Europäischen Kommission wurde im März 2021 dazu veröffentlicht: „Darin werden Möbel als eine der Produktwertschöpfungsketten identifiziert, die künftig in ein zirkuläres Wertschöpfungsmodell überführt werden soll. Hierbei rückt das „ÖkoDesign“ von Möbeln und Möbelkomponenten in den Vordergrund: das Produktdesign spielt in der Entwicklungsphase eine Schlüsselrolle, um die Wiederverwendung von Produkt- und Materialeffizienz zu ermöglichen und dadurch die Lebensdauer und Nutzung von Produkten zu verlängern.“
Auf europäischer Ebene soll das Normungsvorhaben (NWIP) „Furniture — Circularity — Requirements and evaluation tools for dis/re-assemly“ durch CEN/TC 207 dafür die Kriterien festlegen. In Deutschland wird dies im DIN-Normenausschuss Holzwirtschaft und Möbel (NHM) mit dem neu gegründeten Arbeitsausschuss NA 042-05-20 AA „Zirkularität von Möbeln“ untersetzt.
Modularität in der Möbelbranche wird nachhaltiger als bisher durch den Übergang von einer linearen zur zirkularen Wirtschaft.

Bild: Chainable
Innovative Geschäftsmodelle
Wie die Umsetzung von Modularität in einem zirkulares Business Model innerhalb der Möbelbranche funktioniert, zeigt ein Praxisbeispiel aus den Niederlanden.
Kitchen-as-a-Service. Damit hat das Tilburger Unternehmen Chainable BV seinem Markteintritt in das europäische Küchenmöbelsegment gestartet. Der modulare Aufbau ermöglicht eine Anpassung an die Kundenanforderungen, die Wiederaufbereitung der Komponenten und damit eine langlebige Mehrfachnutzung der gesamten Küche.
Als Kooperationspartner in diesem modularen Angebot sind u.a. BlueMovement (BSH Hausgeräte GmbH) und die Grohe AG integriert.
Durch das eigene Kreislaufmodell und die involvierten Stakeholder werden die Grundanforderungen an zirkuläre Produkte – Long(er)-Life-Zyklen, Modularität, Kompatibilität sowie Mehrfachnutzung – sichergestellt.
Bleiben wir noch kurz in den Niederlanden. Auch außerhalb der Möbelbranche gibt es Beispiele.
Headphone-as-a-Service. Wie vielfältig auf Modularität ausgerichtete Geschäftsmodelle sind, beweist das Rotterdamer Startup Gerrard Street BV. In dem Business Modell für Kopfhörer zum Mieten steckt viel Innovation. Auch hier beginnt es beim Design. Die Bestandteile sind modular, nicht verklebt und damit auch austauschbar.
Ein ähnlich modulares Konzept bietet Fairphone BV für eigene Smartphones mit der Aufbereitung und Wiederverwendung der Bauteile an.
Modularität der Produktbestandteile ermöglicht eine höhere wirtschaftliche Wertschöpfung für die Unternehmen und letztendlich einen Wettbewerbsvorsprung.
Neue Kundenoptionen
Mobilität, New Work, Neo-Ökologie und Individualisierung – alles Megatrends unserer Zeit, welche unser Leben prägen und zukünftig noch stärker verändern werden.
Für die Möbelindustrie ergeben sich daraus Chancen auf neue Kundenoptionen, vorrangig im B2B-Bereich.
Aus zwei Gründen.
Zum einen – die traditionellen Office-Konzepte sind im Umbruch und haben Auswirkungen auf die räumliche Beschaffenheit. Im „New Normal“ arbeiten viele im alltäglichen Swing zwischen Homeoffice, Coworking und Büro.
Ähnlich sieht es für die Nachfrage an Wohnangeboten aus. Mit dem wachsenden Bedarf an einem „temporären Wohnen“ orientieren und etablieren sich viele Anbieter neu. Das Spektrum ist groß – von Serviced Apartments bis Micro Apartments für Student-Living, Business Apartments, Co-Living und Senior-Living.
Damit verbunden sind die sich verändernden Nutzungsbedürfnisse für die Ausstattung.
Vor allem „temporär“ bedeutet für die Unternehmen oftmals, voll eingerichtete Objekte anzubieten und gleichzeitig über individuelle, den Ansprüchen der Kunden:innen gerecht werdende Angebote zu verfügen bzw. darauf reagieren zu können.
Daraus ergeben sich die Notwendigkeit und die Vorteile in der Gestaltung der Produkte. Sie müssen anpassungsfähig sein.

Wo sich Lebenssituationen und wirtschaftliche Erfordernisse ändern, sollten Produkte „Schritt halten“ können.
Eine modulare Gestaltung bringt die erforderliche Variabilität und Flexibilität für diese Kundenbereiche der Möbelbranche mit.
Modularität der Produktangebote zeigt Entwicklungsperspektiven auf neue Kundensegmente auf und kann eine langfristige Kundenbindung ermöglichen.
Die Ebenen für Modularität der Möbelprodukte sind unterschiedlich und bedingen einander doch. Umsetzung von veränderten Ressourceneinsatz, erfolgreiche wirtschaftliche Wertschöpfung und Adaptierung der Kundenbedürfnisse gehören zusammen.
Und damit zeigt sich, dass Modularität doch weit mehr ist als das Zusammenbauen von einzelnen Produktkomponenten oder dem Angebot für variable Regal – oder Sofalösungen.